29 April 2011

Billy Wilders Streifzug zwischen Ost und West. – Ein Essay zum Thema Erinnerungskultur.

Anlässlich einer Reise nach Berlin mit dem Schwerpunkt "Erinnerungskultur" setzte ich mich mit dem Film "Eins, Zwei, Drei" von Billy Wilder auseinander, der ein Denkmal der Filmgeschichte ist.

1961 widerfuhr Billy Wilders Komödie „One, Two, Three“ eine besondere Tragik – sie war nicht mehr komisch! Am 13. August hatte die DDR die Grenzen abgeriegelt und begann mit dem Mauerbau. Wilders Film, der kurz danach Premiere hatte, wurde von der „B.Z.“ gar als „scheußlichster Film über diese Stadt“ bezeichnet. Die Geschichte eines Coca-Cola-Vertreters in West-Berlin, der den braunen Sirup auch in der Sowjetunion ansiedeln und somit zum Leiter der europäischen Coca-Cola-Company aufsteigen wollte, fand keinen Anklang. All die Seitenhiebe auf Ost und West, die Kommunisten, aber auch die Kapitalisten, verpufften ungehört. Gemeinhin setzte sich die Meinung durch, dass Wilder sich auf Kosten einer geteilten Stadt und dem schweren Schicksal ihrer Bewohner lustig machte. 
 
Über zwanzig Jahre später, 1986 – Wilder hatte gerade seinen 80.Geburtstag gefeiert – , entdeckte man „Eins, Zwei, Drei“ wieder. Laut Hellmuth Karasek wurde die Ost-West-Romanze „[…] bei der aus einem jungen, gläubigen Kommunisten mittels Konsumterror ein kapitalismusgläubiger Bräutigam für die von ihm geschwängerte Tochter des Coca-Cola-Generaldirektors in Atlanta wurde […]“ ("Billy Wilder. Eine Nahaufnahme", Karasek 1992, S. 9) begeistert aufgenommen. Die Jahre des Kalten Krieges, der Spannungen zwischen Ost und West waren zwar noch keinesfalls überwunden und hatten zweifelsohne Narben hinterlassen, doch plötzlich erkannte man den Genius des in Galizien geborenen Regisseurs. Wilder verarbeitete den größtenteils ideologisch aufgeladenen Konflikt so, wie es nur eine Komödie konnte. Scharfzüngig, ironisch und mit dem Blick für die Sinnlosigkeit desselben. Er hat sich mit diesem Film, zweifelsohne ein Denkmal in der modernen Filmgeschichte gesetzt.

Zunächst einmal (1961) war Wilders Film eine detailgenaue Dokumentation der Ereignisse vor und nach dem 13. August 1961 – ohne darauf allerdings ein besonderes Augenmerk zu legen. Die Realität der geteilten Stadt bildete lediglich den Hintergrund seines Filmes. Er sollte nicht die Spaltung von Ost und West analysieren, sondern sie bloß kritisieren. Dafür war Wilder jedes Klischee recht. Ob „Uncle Sam“ als Kuckucksuhr im Büro von Mr. McNamara (gespielt von James Cagney), dem Coca-Cola-Vertreter West-Berlins oder den bunten Luftballons der Kommunisten mit dem Spruch „Yankees Go Home!“. Damit war er zu nah am Zeitgeschehen. Hätte er denn ahnen können, dass die DDR vor dem Kinostart des Films tatsächlich seine Abspaltung vom Westen auch symbolisch untermauerte? – Natürlich nicht; und das machte den Flop an den Kinokassen aus. Das Leid einer Stadt wurde auf einmal von beißender Ironie in scharfen Zynismus verwandelt. Mit Sicherheit war das nicht Wilders Absicht. 1986 hatten viele der Klischees von '61 einen realen Untergrund und erste Aufbegehren gegen die Abtrennung der DDR sowie gegen den Kommunismus fanden statt. Die Filmrolle, die den Film abspulte war dieselbe, die Rolle, welche der Film auf einmal spielte, war eine deutlich andere. Er machte sich über die alten Herren mit dicken Bäuchen (Kapitalisten) und die Marschierenden (Kommunisten) lustig – die Teilung Berlins stand nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr war es nun die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Otto Ludwig Piffl (Horst Buchholz) aus dem Osten und Scarlett Hazeltine (Pamela Tiffin) aus Atlanta, Georgia. Sie verband Ost und West. Der Film wurde zu der von Karasek beschriebenen „Ost-West-Romanze“. Das eigentlich denkmalwürdige an diesem Film ist das Festhalten eines Zustands. Es zeigt den Konflikt zweier gegensätzlicher Ideologien. Wilders genaue Kamerafahrten, die pointierten Dialoge und die Kulisse Berlins bieten dem Zuschauer genug Raum die Frontenverhärtung zwischen Kommunismus und Kapitalismus selbst zu erfahren. In schwarz-weiß bannte Wilder ein Bild einer geteilten Stadt für die Nachwelt auf Celluloid. Darüber verlor er jedoch nicht den Humor, sondern setzte gerade ihn ein, um die Ideologien subtil zu kritisieren. Wenn ein Mensch lacht, so erkennt er einen Zustand vielleicht besser, als wenn er ihn bloß gezeigt bekommt. Die Gedankenmaschinerie eines jeden plädiert auf eine Zustandsänderung. Nicht um sonst reisten Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder 1984 zu einem Gastspiel nach Leipzig – auch sie verurteilten das DDR-Regime und die Menschen lachten. Fünf Jahre später fiel die Mauer.