09 Juli 2011

"Couldn't care less!" – Roger Willemsen im Interview.

Roger Willemsen ist einer der bekanntesten Intellektuellen Deutschlands. Er schreibt Bücher und wendet sich immer mehr den Bühnen Deutschlands zu. Das hier vorliegende Interview ist stark gekürzt und beläuft sich auf ein ausführliches Gespräch, welches ich am 13.11.2009 im „Magazin“- Filkunsttheater, kurz vor der Premiere von   "Bangkok Noir  " (Text: Roger Willemsen/ Fotos: Ralf Tooten), führte. Ursprünglich war dieses Interview im Rahmen von "Schüler machen Zeitung " für das Hamburger Abendblatt gedacht – dort ist es jedoch nie erschienen.


Tobias Lentzler: Herr Willemsen, wie kamen Sie dazu Kulturschaffender zu werden?

Willemsen: Zunächst mal hat mich Kultur in einem etwas übergeordneten Sinn interessiert. - Nicht nur als die Kultur als Versammlung von Werken, sondern als etwas, dass zwischen Menschen hin und hergeht. Alles was Einsamkeit überbrückt und letztlich Teil der Kommunikation ist, würde ich der Kultur zuschlagen.

Tobias Lentzler: Ist Menschen die Kultur angeboren oder muss man dort manchmal noch etwas nachhelfen?

Willemsen: Berechtigte Frage! - Man kann ja nicht voraussetzen, dass jeder Mensch in eine Umgebung
hineingeboren wird, in der er versteht, was das besondere an einer Mozart Symphonie ist. - Es gibt aber auch so etwas wie ursprüngliche kulturelle Bedürfnisse.
Hätte ich das Gefühlsleben von Britney Spears, dann würde ich wahrscheinlich zwischen C-Dur-Dreiklängen leben und so wären drei Viertel meines Tages nicht mehr darstellbar. Während ich, wenn ich erkenne, dass alle Gefühle, gemischte Gefühle sind, Dissonanzen und den Übergang von Dur zu Moll brauche. Dort ist jeder Mensch eigentlich grundsätzlich zu Hause - Man müsste ihm nur manchmal sagen: Sieh mal, du bist kunstfähig; du bist geistfähig!

Tobias Lentzler: Sie waren ja immer schon im Fernsehen zu sehen. Was bedeutet das Fernsehen für Sie?

Willemsen: Erstmal ist das Fernsehen wie ein totes Objektiv. Ich agiere nicht zum Saal selbst, sondern zur Kamera. Der Saal hat aber eine eigene Wallung. Zudem ist das Fernsehen für mich permanent mit der Anstrengung verbunden, Minderheiteninteressen - nämlich meine - auf Mehrheiten zu übertragen. Die sitzt unter Umständen mit vor der Brust verschränkten Armen da und sagt: Couldn’t care less!
Daran darf man sich nicht ewig abarbeiten, sonst wird man nie erwachsen.
 
Tobias Lentzler: Ihre Beobachtungen In „Deutschlandreise“ zeugen von geplanter Eintönigkeit, überschnellem Wandel. Wandelt die Kultur auf denselben Pfaden?

Willemsen: Die Kultur tut es, wo sie sich dem kommerziellen Profit mehr und mehr öffnet. Der Halbausverkauf der Masseninteressen - die Massenkultur. Ich würde mir eine morphologischeVielfalt wünschen. - Ein Beispiel: Ich mag die Kleider von Wigald Boning, auch wenn ich sie nie anziehen würde! Es ist mir aber lieber, wenn jemand so aussieht und nicht wie ich. Nämlich förmlich. (lacht)

Tobias Lentzler: Suchen Sie auch in anderen Kulturen auf Ihren Reisen nach den Bruchstücken, die das Ganze, die Kultur wieder zusammenfügen?

Willemsen: Aber ja! In anderen Kulturen gibt es, egal wie groß ihr Leid auch sei, immerhin eine Kultur des Erzählens, welche zur Bildung, und dem Trost, den diese Länder dringen brauchen, beiträgt. Ich sehe den horror vacui eines deutschen Beamten, der seiner Frau jeden Abend eine Geschichte erzählen soll. - Am zweiten Tag hat der keine mehr!

Tobias Lentzler: Kommen wir zur letzten Frage. Was wünschen Sie sich für die Kultur im Allgemeinen?
 
Willemsen: Ich wünsche mir eine Art Solidargemeinschaft derer, die ihr Innenleben ein bisschen komplizierter finden, als es das Massen-Ich des Fernsehens für gemeinhin tut!