10 Juni 2013

Rezension: "BE" von Beady Eye. – Das Selbstzitat.

Zwanzig Jahre nach Oasis herausragendem Debütalbum "Definitely Maybe" veröffentlicht Liam Gallagher "BE". Das zweite Album mit seiner aktuellen Band "Beady Eye". Getragen wird es von dem unbedingten Willen Liams etwas neues zu schaffen. Dennoch: Am stärksten ist das Album in den Momenten wo sich Beady Eye am Songwriting-Stil von Noel Gallagher orientiert. 

Die Rezensionen zum Debütalbum "Different Gear, Still Speeding" von "Beady Eye" waren durchwachsen. Das wird sich bei ihrem zweiten, am 10.Juni 2013 erschienen Album "BE"kaum ändern. Dafür enthält der ambitionierte Befreiungsschlag von Liam Gallagher, Andy Bell, Gem Archer, Chris Sharrock und Jay Mehler zu viele Elemente des altbewährten Oasis-Songwritings. Wie sollte es auch anders sein? Eine Band, die fast ausschließlich aus ehemaligen Mitgliedern der vielleicht wichtigsten Band der letzten zwei Jahrzehnte besteht, kann sich nicht innerhalb von zwei Alben radikal wandeln. Es wäre weder natürlich noch sinnvoll vergessen zu wollen, dass Noel Gallagher, der bei Oasis hauptverantwortlich die Songs schrieb, nicht Teil der Band ist. Immer wieder betont Liam, dass er gerne ein weiteres Oasis-Album schreiben würde, doch dafür scheint Noel zurzeit nicht zur Verfügung zu stehen. Zu viel Bitterkeit liegt in den ewigen Querelen der beiden Radaubrüder. 
Allein die Tatsache, dass Liam viel über eine Reunion von Oasis spricht und Rezensenten selbige Nachricht bereitwillig in ihren Kritiken aufnehmen zeigt, dass es schwer ist "BE" mit einem neutralen Blick zu betrachten. Erinnert man sich an die ersten Liam Gallagher Songs auf Oasis-Platten ("Little James" auf dem 2000 erschienenen Album "Standing On The Shoulders Of Giants"), erwartet man keine meisterlichen Songs. Die meisten Liam Gallagher Songs, die in der Zeit von Oasis entstanden, waren uninspirierte, vor sich hinplätschernde Balladen oder Midtempo-Nummern, die lange nicht an die Songschreiber-Qualitäten von Noel heranreichten. Doch "Millionaire", "Four Letter Word" und vor allem "The Roller" bewiesen, dass Liam durchaus in der Lage war gute Songs zu schreiben. 
Das zweite "Beady Eye" Album enthält vier Songs, die alleine eine überragende Platte ergeben hätten. Leider besteht "BE" aber aus wesentlich mehr Titeln. Die meisten von ihnen ("Iz Rite", "Shine A Light" oder "The World's Not Set in Stone") tun nicht weh. Sie plätschern ein wenig vor sich hin, erinnern ein wenig an die ganzen frühen Titel der Beatles ("Love Me Do" oder "Day Tripper"), erfinden allerdings keinesfalls "Beady Eye" oder gar die Musik neu. "Beady Eye" neu zu erfinden war allerdings ein ausgegebenes Ziel von Liams Kombo. 
Problematisch ist das tiefe Tal der Qualitätsunterschiede, die dieses Album durchziehen. Die Bergspitzen (unter anderem der fabelhafte Eröffnungssong "Flick Of The Finger" oder die Gitarren-Ballade "Ballroom Figured") zeigen, dass "Beady Eye" ihren Stil am ehesten finden, wenn sie sich direkt neben ihrer selbstgesteckten Messlatte der Oasis-Songs bewegen. "Flick Of The Finger" besitzt eine ähnlich rohe Kraft wie "Bring It On Down", auch wenn die Songs in ihrer Vertonung und Abmischung unterschiedlicher nicht sein könnten. "Flick Of The Finger" wartet mit imposanten Blechbläsern und einem so stimmgewaltigen wie eigensinnigen Liam Gallagher auf. Es ist eine Glaubensfrage, ob Liam Gallagher singen kann oder nicht. Selbst Rezensenten derselben Zeitung sind da niemals einer Meinung. 
"Ballroom Figured" ist eine schlichte Gitarrenballade mit einer sehr schönen Bridge. Das Lied tänzelt immer wieder vor sich hin und kann sich dennoch oder vielleicht gerade deshalb inmitten dieses ambitionierten Albums behaupten. - Was geschieht, wenn die Ambitionen höher sind als die Qualität der Songs ist eindrucksvoll bei "Second Bite Of The Apple" zu hören. Der Song ist jammervoll! Liam singt mit einer merkwürdigen Variante seiner Stimme einen Text, den ein Schuljunge, der gerade das A-B-Reimschema gelernt hat, hätte texten können. Die überlauten Bläser, der mit einem merkwürdigen Effekt belegte Bass und die Percussions, die klingen als hätte Liam zu Hause ein paar Töpfe aufgestellt und darauf herumgeschlagen, machen den Song zu einem Desaster. Der Song ist ein fehlgeschlagenes Experiment, kreiert ärgerlicherweise allerdings einen sehr lästigen Ohrwurm.
Die übrigen Songs haben ihre Stärken und Schwächen, beweisen allerdings, dass diese Band sich im Aufbruch befindet. Manchmal zitieren sie berühmte Bands, als hätten sie Angst sonst nicht bestehen zu können. Doch eigentlich zitieren zumeist sich selbst. Allerdings nicht als "Beady Eye" sondern als "Oasis", welches ohne Noel Gallagher seinen Kompass für die Weltklasse verloren hat. Die Band ist ein Selbstzitat ohne den letzten Punch im Arrangieren. Ein Großteil der Songs hat durchaus Potenzial. 

Es lohnt sich das Album in voller Länge anzuhören, wenn man an der Entwicklung von Liam als Songschreiber interessiert ist oder es beiläufig im Hintergrund läuft. Zwanzig Jahre nach "Definitely Maybe" wird dem Hörer allerdings einmal mehr bewusst, was für ein schmerzlicher Verlust "Oasis" für die Musikwelt war.


Wertung: 5,5 von 10