15 September 2015

Rezension: "Anthems For Doomed Youth" von The Libertines. Nachdenklich und weniger roh.

Es ist das vielleicht unwahrscheinlichste und langersehnteste Comeback der letzten Jahre. The Libertines sind zurück. Die vierköpfige Londoner Indie-Gruppe um Pete Doherty und Carl Barât veröffentlichte am 11.September 2015 ihr drittes Album "Anthems For Doomed Youth" (Virgin EMI). Trotz einiger Schwächen ist es ein mehr als ordentliches Album geworden.


Elf Jahre nach ihrem bisher letzten, nach der Band benannten Album "The Libertines" (2004) kehren Pete Doherty (Gesang/Gitarre), Carl Barât (Gesang/Gitarre), John Hassall (Bass) und Gary Powell (Schlagzeug) mit ihrem dritten Album "Anthems For Doomed Youth" zurück. 
Nachdem Barât seinen besten Kumpel Doherty wegen anhaltender Drogenprobleme 2004 aus der Band warf und die Libertines auflöste, gründete Doherty kurzerhand die Babyshambles mit denen er drei von der Kritik gelobte Alben aufnahm. Sein Soloalbum "Grace/Wastelands" (2009) gab einen tiefen Einblick in die musikalische Seele des Poeten. Nach einigen Gefängnisaufenthalten und mehreren erfolglosen Entzugsversuchen, ging er Ende 2014 nach Thailand und wagte einen weiteren Versuch in einer Drogenentzugsklinik. Mit Erfolg.
Carl Barâts "Dirty Pretty Things", in denen Gary Powell als Schlagzeuger mitwirkte, veröffentlichten zwei Alben. Kam "Waterloo To Anywhere" noch gut an, wurde der Nachfolger schon deutlich weniger gewürdigt. Die beiden Soloalben von Barât sind der Erwähnung bedauerlicherweise nicht wert.

Und nun also wieder The Libertines. Als sie sich Ende der Neunziger gründeten und 2002 ihr überragendes Debüt "Up The Bracket" veröffentlichten, waren die vier Londoner Anfang Zwanzig und wurden als die britische Antwort auf The Strokes gefeiert. Sie galten als Retter des Garagenrocks und brachten neben ihrer rohen, unverstellten Musik großartige Texte in die Londoner Szene. Nun sind die Mitglieder der Libertines Mitte Dreißig. Noch immer leben ihre Songs von ehrlichen und sehr tiefgründigen Lyrics. "Anthems For Doomed Youth" verarbeitet vor allem die Geschichte der Band selbst (z.B. "Fame And Fortune" oder "Glasgow Coma Scale Blues") , sowie die tiefen Abgründe, in die Barât und Doherty selbst geblickt haben ("Iceman" oder "Belly Of The Beast").
Der größte Unterschied zu den beiden vorangegangenen Alben ist, dass die Libertines lange nicht mehr so roh klingen. Dafür ist mit Sicherheit vor allem der Produzent Jake Gosling, der sonst Ed Sheeran oder One Direction produziert, verantwortlich. Gerade Songs wie "Fury Of Chonburi" oder "Heart Of The Matter", die viele der alten Qualitäten der Libertines bergen, klingen zu glatt. Zwar sind die Gitarren noch immer leicht neben dem Ton, aber die Einsätze und der Gesamtsound klingen zu perfekt für einen Libertines-Song alter Qualität. 
Sternstunden des Albums sind die Balladen "Anthem For Doomed Youth", die Carl Barât mit Hingabe singt und das neu eingespielte "You're My Waterloo", das gerade durch das Piano-Intro und das Gitarrensolo sehr an "Don't Look Back In Anger" von Oasis erinnert. Auch "Iceman" ist eine wunderschöne Ballade, die vor allem durch ein furioses Ende überzeugt. Die Uptempo-Nummern "Glasgow Coma Scale Blues" und "Barbarians"gehen ins Ohr und zeigen, dass die Libertines sich in elf Jahren weiterentwickelt haben. Die Arrangements sind etwas komplexer, die Songs gehen ins Ohr und auch die Erlebnisse, welche die Libertines in den letzten Jahren geprägt haben, lassen sich auf dem Album hören. Die Songs sind weniger euphorisch und weniger leicht. Sie sind vielmehr nachdenklich, aber auch vorwärts gewandt. 

Alles in allem schaffen die Libertines mit "Anthems For Doomed Youth" ein solides bis gutes Comeback, welches ihr Ansehen kaum beschädigen wird, aber ein interessanter Ausgangspunkt für ein viertes, gereiftes Album sein könnte. Vielleicht schaffen sie dort, was Oasis in ihrer langen Karriere nie erfolgreich geschafft haben - sich neu zu erfinden und doch die Band zu bleiben, die sie einst waren.



Wertung: 7,0 von 10