26 Juni 2017

Kommentar: Sicherheit um jeden Preis!

Kaum ein Thema wird derzeit einseitiger diskutiert als die öffentliche Sicherheit. Terrorangriffe in unterschiedlichen europäischen Metropolen, allen voran in den letzten Monaten immer wieder in London, lassen Politiker aller Parteien noch mehr Spielraum für die Sicherheitsbehörden einfordern. Die Bundesregierung ging nun so weit ein weitreichendes Überwachungsgesetz zu verabschieden, dass mittels so genannter "Staatstrojaner" private Kommunikation durch eine aufgespielte Schadsoftware direkt an der Quelle mitlesen kann. Dieser Eingriff in die Intimsphäre der Bundesbürger nimmt den Menschen ein Stück weit ihre Würde.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" - so steht es in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein mächtiger, ein unmissverständlicher Satz. Artikel 1 ist das wichtigste Grundrecht dieses Staates. Und dennoch scheint es dieser Tage mit der Achtung und dem Schutz der Würde aller Menschen nicht weit her zu sein. Terrorattacken gegen europäische Metropolen, ob Paris, Berlin oder zuletzt immer wieder London, haben Politiker und Bürger gleichermaßen verschreckt. Kaum verhallt die erste Berichterstattung über einen neuerlichen Anschlag, stehen Politiker aller Parteien bereit und fordern mehr Sicherheit. Über kein anderes Thema wird derzeit so einseitig diskutiert. In den Augen fast aller Politiker gibt es nur noch ein "mehr" an Sicherheit. Unsere wichtigsten Grundrechte werden dabei achtlos eingeschränkt oder zumindest geflissentlich ignoriert.

Der Bundestag beschloss vergangenen Donnerstag ohne nennenswerte Debatte ein "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens". In einem Änderungsantrag - nicht im Entwurf selbst - wurden so genannte "Staatstrojaner" ins Verfahren eingebracht. Mittels Schadsoftware lässt sich somit laufende private Kommunkation, zum Beispiel auf WhatsApp, direkt an der Quelle mitlesen. Ein ungeheuerlicher Eingriff in die Intimsphäre und die Freiheit eines jeden Bürgers! Freiheit und Würde sind eng miteinander verknüpft. Wer einem Menschen einen Teil seiner Freiheit nimmt, der nimmt ihm auch ein Stück seiner Würde.

Um das klarzustellen: Wer eine Straftat begeht, soll dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Doch sollten zugleich Grund- und Bürgerrechte immer geschützt werden. Wer wie Theresa May im britischen Wahlkampf dazu bereit ist Menschenrechte einzuschränken, um im Antiterrorkampf erfolgreich zu sein, muss in die Schranken verwiesen werden! Die Menschenrechte sind unveräußerlich. Sie machen keinen Unterschied zwischen Hautfarbe oder Religion, Geschlecht oder Herkunft. Die Würde eines jeden einzelnen zu bewahren, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt - so steht es - wie oben zitiert - in Artikel 1 des Grundgesetzes.

Die Bundesregierung muss sich fragen, ob sie mit ihrem neuen Gesetz nicht über das Ziel hinausgeschossen ist. Bevor Maßnahmen zur Terrorbekämpfung immer weiter verschärft werden, sollten bestehende Gesetze vollumfänglich und korrekt angewendet werden. Am Ende hilft das beständige Einschränken der bürgerlichen Freiheiten nämlich nicht einer offenen und freien Gesellschaft, die Politiker verteidigen wollen, sondern den Spaltern und den Terroristen.

09 Juni 2017

Kommentar: Demokratie als Wettstreit der Ideen

Nicht erst die britische Parlamentswahl hat gezeigt, dass Politikstile, die sich größtenteils an Umfragen ausrichten zum Scheitern verurteilt sind. Politische Entscheidungen bedürfen immer des Weitblicks. Das Tagesgeschäft und die Kurzlebigkeit unserer medial geprägten Welt dürfen den Blick darauf nicht verstellen.

Der 8. Juni hätte für die britische Premierministerin Theresa May ein Freudentag werden sollen. Als sie im April dieses Jahres überraschend Neuwahlen ankündigte, sagten viele Demoskopen einen ungefährdeten Sieg und einen Ausbau der absoluten Mehrheit der Tories, ihrer konservativen Partei, voraus. Die Wahrheit ist: May hat mit den Tories die absolute Mehrheit im britischen Parlament verloren. Ihr Herausforderer Jeremy Corbyn hingegen hat mit seiner Labour-Partei viele Sitze hinzugewonnen. Der von vielen heraufbeschworene Untergang  der Partei Corbyns hat nicht stattgefunden.
Die britische Premierministerin hat sich verspekuliert. Sie wollte durch einen grandiosen Wahlsieg ihre Position in den Austrittsverhandlungen Großbritanniens aus der Europäischen Union ("Brexit") stärken. Das ist nicht gelungen. Stattdessen steht May in der Kritik ohne Not Neuwahlen angesetzt zu haben. Auch Wahlkämpferqualitäten werden ihr abgesprochen.

Doch Analysen, die Mays Versagen in den Mittelpunkt rücken, verkennen ein Muster, das weit über Großbritannien hinaus eine Rolle spielt. Wer sein politisches Schicksal an Umfrageergebnisse knüpft oder gar selbst immer wieder Umfragen in Auftrag gibt um eine Politik zu machen, die möglichst wenigen Menschen wehtut, verkennt, dass hehre politische Ziele nur durch Ausdauer und Langmut erreicht werden können. Beispielhaft für eine Politik, die über den Tag hinaus denkt, ist in Deutschland noch immer der erste SPD-Bundeskanzler Willy Brandt, der in den 1960er-Jahren durch seine, gemeinsam mit Egon Bahr entwickelte Ostpolitik eine langsame Annäherung West-Deutschlands an die gesamte Sowjetunion ermöglichte.

Visionen sind nicht immer populär. Oftmals laufen sie sogar diametral der gegenwärtigen Wahrnehmung oder den Wünschen der Bürger entgegen. Deshalb muss eine langfristig gedachte Politik den schwierigen Doppelschritt vollziehen ein offenes Ohr für die Sorgen und Bedürfnisse, die Wünsche und Gestaltungsideen der Bürger haben, zugleich aber auch immer wieder unabhängig davon agieren. Selbstverständlich müssen Vorstellungen und Pläne immer wieder öffentlich verhandelt und mit Verve diskutiert werden. Doch gerade in einer von Kurzlebigkeit geprägten Welt sind Unabhängigkeit von populären Meinungen, von "Hypes" und einschneidenden Ereignissen entscheidend. Demokratie ist im Idealfall ein lebendiger Wettstreit der Ideen. Er sollte sich nicht von aktuellen Trends korumpieren lassen, die morgen wieder verblasst sind. Vielmehr sollten echte Probleme in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskures gestellt werden.

Begreifen wir Demokratie als eben jenen lebendigen Wettstreit der Ideen, so ist jeder Bürger aufgerufen sich daran zu beteiligen und ihn aktiv mitzugestalten. Das Tagesgeschäft und die Kurzlebigkeit unserer medial geprägten Welt dürfen den Blick darauf nicht verstellen.